Liebe Feundinnen und Freunde der Daumenkinographie,
ich schreibe diese Rundmail aus Freiburg im Breisgau, das ich nach 10 Wochen und vier Tagen Wanderschaft und rund 900 zurückgelegten Kilometern Anfang dieser Woche erreicht habe. Gestern notierte ich in meinem Tagebuch folgendes, nachdem ich am Abend zuvor in den Gassen der Altstadt meine Daumenkinos gezeigt hatte:
… fast überall baden Menschen ihre Füsse in den kleinen, knöcheltief mit Wasser gefüllten Kanälen, die die Altstadt Freiburgs durchziehen. Sie trinken ihre mitgebrachten Getränke, Kinder planschen im Wasser, lassen ihre kleinen Schiffe fahren oder rennen ihnen stromabwärts hinterher (…) Das Paar aus dem Kaukasus: Sie saßen vor einem Café und wirkten gar nicht so, als würden sie sich für meine Daumenkinos interessieren (aber was heißt das schon!) und taten es dann doch. Zunächst hatte die Frau auf mich reagiert. Sie schaute mich interessiert und fragend an, ich trat an denTisch heran, an dem sie saßen, und sagte mein Sprüchlein auf: Dass ich mit einer Daumenkinoausstellung auf Wanderschaft sei, dass ich diese mit dem Zeigen meiner Daumenkinos finanzieren würde und ob ich ihnen eines meiner Daumenkinos zeigen dürfe. Die Frau hatte ein schönes, rundes Gesicht, war ungefähr Anfang 40, ihr Mann wirkte seriös und zunächst freundlich distanziert. Doch als er bemerkte, dass es nicht nur um Daumenkinos, sondern auch um die Geschichten dahinter ging, da ging ein spürbarer Ruck durch ihn hindurch, er beugte sich vor und war ganz bei der Sache. Beide sprachen mit einem leichten Akkzent und sie waren ganz offensichtlich berührt von dem, was sie sahen und von dem, was ich ihnen erzählte; es fiel besonders tief bei ihnen, das spürte ich, sie waren sehr empfänglich für das, was die Daumenkinos zeigten und ich glaube auch für meine lange Wanderung, die ich hinter mir hatte.
Im Hintergrund sang eine alte Frau, die ein buntes Kleid trug, schöne Lieder in einer Sprache, die ich nicht verstand, und spielte dazu auf einer Ukulele. Als das Paar fast alle Daumenkinos angeschaut hatte, die auf dem Bauchladen lagen, fragte ich, ob sie zu Besuch in Freiburg seien. Sie erzählten mir, dass sie hier leben, aber eigentlich aus dem Kaukasus stammen würden. Erst in Freiburg hätten sie sich kennengelernt, nachdem sie mit großem zeitlichen Abstand unabhängig voneinander hierher gekommen seien. “Man kann seinem Schicksal nicht entkommen”, sagte der Mann mit einem feinen Lächeln zu mir und in jedem seiner Worte schwang die Liebe zu seiner Frau mit. Wie sehr ich die beiden mochte! Zum Abschied sagte der Mann, ich solle weiter machen mit dem, was ich tue, er wünsche mir leichte Füsse. Und die Frau, die wie ihr Mann weit entfernt von ihrer Heimat vor vielen Jahren ein neues Leben begonnen hatte, sagte: “Kommen sie gut nach Hause!” Obwohl oder gerade weil das, was sie mir wünschten, so einfach und so schlicht war, waren es die schönste Wünsche, die mir auf meiner bisherigen Wanderschaft mitgegeben worden waren.
Am Montag werde ich also mit leichten Füssen weiterlaufen: Über den Schwarzwald nach Lörrach und von dort über Basel und Zürich ins Große Walsertal, dem südlichsten Punkt meiner Reise. Dort werde ich im Rahmen des Walserherbst Festivals einen Auftritt mit meinem Daumenkino-Bühnenprogramm “Bilder lernen laufen, indem man sie herumträgt” haben, zu dem ich Sie hiermit sehr herzlich einladen möchte! Versuchen werde ich, ein oder zwei neue Daumenkinos, die unterwegs entstanden sind, in der Dunkelkammer des Fotografen Nikolaus Walter in Feldkrich/Vorarlberg zu entwickeln und zu vergrößern, um sie als Zeugnis dieser Wanderschaft dem Abend hinzuzufügen.
Donnerstag, 7. September 2023, 20 Uhr, Marul / Großes Walsertal
Walserherbst Festival
Es versteht sich von selbst, dass es nach fast drei Monaten Wanderschaft noch sehr viel mehr zu erzählen gäbe. Hier nur noch soviel: Es geht mit sehr gut, ich laufe schmerzfrei, habe immer genug zu essen und ich fühle mich reich beschenkt von dem, was ich bisher erlebt habe.
Mit sehr herzlichen und sonnigen Grüßen aus dem Breisgau und wie immer in Vorfreude auf ein Wiedersehen oder Kennenlernen!
Volker Gerling
P.S. Anbei ein Foto, das mich mit meinem neuen Anhänger zeigt (entstanden letzte Woche im Elsaß – Foto: Julia von Troschke), mit dem ich seit ca. vier Wochen unterwegs bin, nachdem bei meinem alten Anhänger zweimal die Deichsel gebrochen war.